Nachdem ich morgens aufgestanden war, merkte ich, dass sich etwas anders anfühlte als sonst. Es war noch mehr ein Gefühl als körperliche Anzeichen. Dann bemerkte ich den leicht blutigen Ausfluss. Ich freute mich nach fast einer Woche über Termin mal wieder ein Zeichen von meinem Körper zu bekommen, dass es weitergeht.
Hätte es nicht explizit auf dem Hausgeburtenzettel gestanden, hätte ich aber wahrscheinlich noch nicht vorgewarnt, doch so sendete ich doch ein dezentes Vorwarnzeichen an Miriam. In der Erwartung, dass sich nun dann ja auch etwas tun müsste, ging ich erst einmal baden, dann mit dem Großen spazieren und „Fussball spielen“ (so gut das eben mit Bauch noch ging). Bis zum Abend tat sich nicht mehr viel, obwohl der Große mittlerweile ausquartiert und das Geburtszimmer hergerichtet war. Mit viel Fantasie und In-den-Körper-Hineinspüren könnte hier und da die ein oder andere Wehe zu spüren gewesen sein. Zwischendurch hatte ich ernsthafte Zweifel, ob ich nicht viel zu früh den Startschuss gegeben hatte. Um mich abzulenken schaute ich mir im Bett abends noch die ein oder andere Doku an. Gegen 23 Uhr glaubte ich dann endgültig nicht mehr daran, dass heute noch etwas passieren sollte, und wollte mir nur noch schnell etwas zu trinken aus der Küche holen.
Da machte es plötzlich plupp und es lief aus mir heraus – nein die Fruchtblase war es nicht, wie sich im Nachhinein herausstellte. Aber schon auf dem Weg zur Toilette spürte ich plötzlich erste echte Wehen. Eins, zwei, drei Wehen wartete ich ab, dann merkte ich, dass die schon ziemlich schnell aufeinander folgten. Jetzt war mir auch danach, Miriam anzurufen. Die nächsten Wehen verarbeitete ich recht entspannt auf dem Gymnastikball sitzend. Ich war froh, mich bewegen zu können und das Kreisen der Hüfte half mir in die Entspannung. So hatte ich für mich bereits eine angenehme Position gefunden, als Miriam kam. Nun war ich neugierig, wie weit der Muttermund wohl schon geöffnet sein würde und auch Miriam schlug direkt vor, einmal zu tasten. Der Positionswechsel war erstmal doof, aber noch gut auszuhalten. Acht Zentimeter hatte ich schon geschafft und fühlte mich noch ziemlich entspannt. Miriam warnte mich also vor, dass es evtl. gleich, wenn die Fruchtblase platze auch ganz schnell gehen könnte und sie sich nun beeilen würde. Mit Miriams Eile änderte sich zwar die Situation für mich insofern, als dass mir deutlich wurde, dass es nun wirklich bald soweit sei, die geborgene und konzentrierte Stimmung konnte ich mir jedoch erhalten. Ich versuchte mich noch intensiver auf mich und die Geburt zu konzentrieren und nahm das um mich herum nur noch schemenhaft wahr. Mit den Bewegungen auf dem Ball waren die Wehen immer noch gut auszuhalten und ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl von ihnen überrollt zu werden. Die Metapher der sich öffnenden Blume vor Augen, spürte ich eher das intensive Arbeiten der Muskulatur als einen Schmerz. In einer der Wehenpausen nahm ich Miriams Uhr auf dem Tisch wahr, und begann, mit den Gedanken wegzugleiten. Kurz nach Mitternacht, ich meine 00:07 Uhr, tatsächlich wird die Maus also ein so schönes, rundes Geburtsdatum haben, wie ihr Bruder. Mit der nächsten Wehe merkte ich, wie der Wecker mich in meiner Konzentration störte und bat Miriam ihn wegzunehmen. Im Nachhinein finde ich es beeindruckend, wie schon so dezente technische Geräte die Konzentration stören können, und kann erahnen, wie sich ein CTG oder anderes „Dauerpiepen“ auf den Geburtsverlauf auswirkt. Das Abhören der Herztöne, mit Miriams kleinem Gerät dagegen nahm ich kaum wahr und könnte gar nicht mehr sagen, wie oft und wann das geschehen ist. Zwischendurch war Vera als Zweithebamme in einer der Wehen dazugekommen. Ich hörte die Tür klicken, wollte mich aber erstmal auf das Veratmen der Wehe konzentrieren und konnte dann ein weiteres freundliches, mir wohlgesonnenes Gesicht begrüßen. Vor der Geburt hatte ich gedacht, dass mich das Auftauchen einer weiteren, mir noch fremden Person in meiner Konzentration stören könnte. Das war aber, sicher auch dank Veras einfühlsamer Art, überhaupt nicht der Fall. Oftmals wusste ich gar nicht, ob und wie Vera mit im Raum war, nahm nur am Anfang wahr, dass sie sich auf den Flur setzte. Auch Miriams Anwesenheit habe ich nach der etwas hektischen Ankommens- und Auspackens-Phase als zurückhaltend und haltgebend empfunden. Was immer sie tat, sprach sie kurz mit mir ab, wobei ich nicht das Gefühl hatte, dass viel in den natürlichen Geburtsverlauf eingegriffen wurde oder ich auf meinem Geburtsweg mehr als nötig angeleitet wurde. Bei meiner letzten Geburt hat es mich ziemlich gestört, dass die Hebamme mich immer wieder zum Tönen animieren wollte, obwohl mir überhaupt nicht danach war. Diesmal fühlte ich mich einfach begleitet aber nicht angeleitet. Kleinigkeiten, die mich stören könnten, nahm Miriam meistens schon wahr, bevor ich sie überhaupt ausgemacht hatte. So hatte ich während der Geburt eigentlich nur eine Situation, in der ich selber unsicher wurde und nicht wirklich weiter wusste. Miriam setzte sich quasi in dem Moment, indem ich dachte, ich bräuchte sie jetzt mal in mein Sichtfeld und ein kurzer Blickkontakt gab mir das nötige Selbstvertrauen zurück.
00:07 Uhr, der Wecker war weg und mein Selbstbewusstsein zurück. Nun verunsicherten mich auch der zunehmende Drang mitzupressen nicht mehr. Vielleicht spielte hier doch eine Rolle, dass ich bei meiner letzten Geburt die Presswehen als ziemlich zermürbend und viel weniger gut zu verarbeiten empfunden habe. Der Vorschlag die Position zu wechseln und die Unterhose auszuziehen kam von Miriam. Die Nachfrage, ob ich noch etwas längeres zum Anziehen haben wollte, zeigt genau den Respekt vor mir und meinem Körper, den ich an diesem Tag noch viel mehr zu schätzen lernen sollte. Ich fühlte mich auch so wohl und freier als mit noch mehr Klamotten und beließ es also bei dem langen T-Shirt.
Ein kurzer Versuch die aufkommenden Presswehen im Stehen gegen den Stuhl zu verarbeiten scheiterte, da meine Beine mittlerweile ziemlich zitterten und ich keinen entspannten, festen Stand hinbekam. Also auf den Knien vor dem Sofa. Zuvor habe ich es mir so nie vorstellen können (obwohl Miriam es als eine Möglichkeit schon einmal angedeutet hatte). Nun fühlte es sich aber, allemal mit einigen Kissen unterm Kopf) gut und richtig an. Prompt kam auch der erste Drang mitzupressen. Ganz kurz wartete ich wieder auf die Anleitung, was nun zu tun sei, das machte mir mein Körper aber relativ schnell unmissverständlich klar und ich spürte nun den Druck des Köpfchens. Innerhalb einer oder zwei Presswehen platzte die Fruchtblase, das Köpfchen kam herausgeschossen und der Rest des Kindes hinterher. Ich konnte kaum glauben, dass es das schon gewesen sein sollte und lauschte. Tatsächlich, da kam der erste langersehnte, zaghafte Schrei. Mein Baby war geboren.
Die Plazenta ließ ein wenig auf sich warten (fand zumindest meine Ungeduld, den neuen Erdenbürger endlich an meine Brust nehmen zu können). Richtige Wehen spürte ich nun keine mehr, doch auch so konnte ich die Plazenta schließlich gebären. Ein kurzer Moment der Unsicherheit kam nochmal auf, als Miriam, für meinen Geschmack und ihre Verhältnisse ziemlich ernst sagte „Du blutest ziemlich stark“ und mich bat mich auf die Seite zu legen. Aber dann hatte ich auch schon mein Mädchen auf der Brust. Zu Hause geboren, in genau der Ruhe, Geborgenheit, Selbstbestimmtheit und Würde, wie ich es mir gewünscht hatte. Nur von Menschen umgeben, die mir guttun, mir Sicherheit geben und die es brauchte, um auf mich und meinen Körper hören zu können. Es war wunderschön, anstrengend, überwältigend und, nun traue ich mich doch, es zu schreiben, obwohl ich den Gedanken bisher immer fast überheblich fand, schmerzfrei.
Binnen weniger Minuten fand unser kleines Wunder unter den vorgewärmten Handtüchern und von allem umsorgt die Brust und begann zu nuckeln. Miriam und Vera schauten sich die Plazenta an und ich genoss einfach nur den Augenblick mit meinem kleinen Wunder auf dem Bauch, dem Kerzenschein, dem vertrauten Zitronenölgeruch und den warmen Handtüchern um mich herum.
Hier hätte der Geburtsbericht enden können und gerne auch sollen. Leider stellte sich heraus, dass mein Damm in der unerwartet schnellen Austreibungphase doch recht weit eingerissen war. So weit, dass Miriam mir nach kurzer Absprache mit Vera erklärte, dass es, als Dammriss 3. Grades, im Krankenhau genäht werden müsste. Der kurze nächtliche Abstecher ins Krankenhaus verdeutlichte mir vor allem eines: wie wertvoll eine würdevolle, selbstbestimmte Geburt doch ist und wie dankbar wir sein können, dass es euch, liebes Haugeburtsteam und eure großartige Arbeit, die ihr Tag für Tag leistet, gibt.