Erinnerungen an die Geburt

Gegen 18:30 Uhr fiel mir auf, dass die Kontraktionen, die ich schon aus den letzten Wochen kannte, recht häufig kamen. Sie waren nicht besonders stark. Wir waren überzeugt, dass sich unser Kind noch ein zwei Tage Zeit lassen würde, daher verwarf ich zunächst den Gedanken, dass es sich um Geburtswehen handeln könnte, auch mein Partner hielt es für unwahrscheinlich.


Ich beschloss dann doch auf die Uhr zu sehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, in welchen Abständen die Kontraktionen kamen: 18:36, 18:43, 18:51…
Eine halbe Stunde später rief ich Miriam an, um sie vorsichtshalber vorzuwarnen. Sie empfahl, dass ich mich um eine Betreuung für unsere größere Tochter kümmern sollte, ihr Gefühl sage ihr, dann würden sich die Wehen wahrscheinlich einpendeln.
Also rief ich die Großeltern an und bat sie zu kommen, zunächst noch mit leichten Zweifeln, ich wollte nicht, dass sie zwei Stunden Fahrt auf sich nehmen und es dann ein „falscher Alarm“ würde.
Sie machten sich auf den Weg.
In der Zwischenzeit las ich meiner Tochter Bücher vor, mittlerweile musste ich nach allen 1-2 Seiten pausieren, um mit geschlossenen Augen bewusst zu atmen. Das klappte ganz gut.
Mein Freund packte nebenher noch die letzten Sachen für unsere Tochter und begann die Räume für die Geburt vorzubereiten.
Gegen 21:30 trafen die Großeltern ein, ich war sehr froh darüber sie rechtzeitig angerufen zu haben, denn nun war ich mir sicher, dass dies der Beginn der Geburt war.
Zum Glück lief der Abschied von unserer Tochter ganz ruhig und friedlich, später erfuhren wir, dass sie im Auto gleich eingeschlafen ist.
Ich bereitete noch die letzten Dinge vor: Tücher vor die Fenster wo keine Gardinen sind, Kerzen in den Räumen, in denen ich mich aufhalten wollte, dass Bett, die Utensilien…
Dann konnte ich mich ganz auf meinen Körper konzentrieren, der Ablauf schien perfekt, denn jetzt brauchte ich tatsächlich meine Konzentration für die Wehen. Ich hielt die Augen meist geschlossen und lag erst eine ganze Weile auf dem Bett. Bei jeder Wehe versuchte ich zunächst einen tiefen Atemzug bis in den Bauch zu nehmen. „Die Wehe mit einem Atemzug begrüßen“ klang es aus dem Yogakurs nach. Schon bei meiner ersten Geburt war mir durch Yoga bewusst, dass ich die tiefe Bauchatmung einsetzen muss, um die Wehen zu bewältigen. Damals erschien mir die Atmung und das Tönen als eine Art Weg, um die Schmerzen auszuhalten und die Wehen zu überstehen.
Dieses Mal tat sich eine neue, eher geistige Komponente auf. Zwischen zwei Wehen entschied ich die nächste Wehe in ihrer Gänze einfach geschehen zu lassen, ohne zu wünschen, sie sei vorbei, ohne sie „wegatmen“ zu wollen, ohne mich selbst gegen die Empfindung zu sperren. Dann kam die Wehe, die ich als sehr intensiv empfand, ohne sie jedoch als Schmerz zu fühlen. Ich konnte sie zulassen und es entstand ein schwer beschreibbares inneres Bild ähnlich eines „Aufblühens“ oder dem Bild eines Feuerwerks ähnlich, das sich entfaltet, steigert und dann wieder verblasst. Ich konnte mir durch diesen Versuch gewissermaßen selbst beweisen, dass ich durch die Wehen keinen Schaden nehmen würde, selbst wenn ich sie ganz zulasse. Das war sehr wirkungsvoll, weil so die Angst bzw. Anspannung noch mehr wich.
Ich versuchte die Wehen nun ganz für mich zu nutzen und sagte mir innerlich mit jeder Ausatmung während der Wehen, dass ich die Empfindung zulasse, mich öffne und weich werde. Mantraähnlich, voller Konzentration.
Mein Freund war an meiner Seite, aber ich konnte Berührungen meist gar nicht so gut vertragen, da ich das Gefühl hatte, dass sie mich vom Eigentlichen ablenken. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ein Bad gut sein könnte. Mein Freund bereitete alles vor. Das warme Wasser tat gut und ich konnte mich zwischen den Wehen kurz entspannen. Ich bat meinen Freund die Uhr im Blick zu haben, um wieder ein Gefühl für die Abstände zu bekommen. Die Wehen kamen nun alle 3 Minuten. Da bei der Geburt unserer Tochter die Wehen auch schon sehr früh in kurzen Abständen kamen und die Eröffnungsphase sehr lange gedauert hatte, waren wir beide noch recht ruhig. Trotzdem bat ich ihn Miriam Bescheid zu sagen, ich hatte das Gefühl, dass es mir gut tun würde sie in der Nähe zu wissen.
Dieses Mal hatte ich natürlich eine viel konkretere Vorstellung von meinem Kind und hatte das Gefühl, daher auch anders mit dem Kindchen in Kontakt gehen zu können. Es gab immer wieder Momente, in denen ich eine Art kurzes inneres Gespräch mit ihm führte, spürte, dass alles in Ordnung war.
Als ich gerade entschieden hatte von der liegenden Position in eine Vierfüßlerposition in der Wanne überzugehen, kam Miriam. Es war mittlerweile gegen 23:00 Uhr. Sie wirkte etwas hektisch und bat mich schnell aus der Wanne zu kommen, damit sie feststellen könne, wie weit wir sind. Der Muttermund war bereits 8 cm geöffnet. Ich war überrascht und beeindruckt. „Mind-power“ dachte ich kurz innerlich schmunzelnd, bevor mich wieder etwas ins Jetzt holte.
Ich lag wieder auf dem Bett. In meinem Kopf kreiste immer wieder der Gedanke, dass man die Schwerkraft ausnutzen müsse. Daher kniete ich mich dann vor das Bett.
In der Zwischenzeit bereitete Miriam alles mit vielen schnellen Handgriffen vor, Andrea war auch dazu gekommen.
Langsam hatte ich das Gefühl, dass nur Atmen nicht mehr ausreichte. Ich zögerte kurz, überlegte ob ich Unterstützung beim Tönen, zumindest beim Einstieg, bräuchte. Bei der nächsten Wehe kam das Tönen jedoch fast wie von selbst. Das half.
In dieser Phase konnte ich mich nicht mehr auf innere Bilder oder Sätze konzentrieren, ich war ganz im Körper, völlig damit beschäftigt, mich an das bewusste Ausatmen und Tönen zu halten.
Die Position wurde mir zu anstrengend und Miriam schlug eine Seitenlage auf dem Bett vor. Da die Wehen heftiger, mit Kraft nach unten kamen, war ich dazu übergegangen, Halt an der Hand meines Freundes zu suchen. Mit den Beinen konnte ich gegen Miriam Druck aufbauen. Zug und Druck halfen die Kraft meines Körpers gewissermaßen zu kanalisieren. Ich war noch etwas unsicher, doch Miriam ermutigte mich den Druck nach unten nachzugeben, mit zu schieben.
In dieser Phase kam ein kurzer Moment auf, in dem ich das Gefühl hatte es gehe nicht richtig weiter und dann kam die nächste Wehe und verwischte den Gedanken.
Ich bekam Kompressen, wechselte Zwischendurch auf den Gebärhocker. Da öffnete sich eindrucksvoll die Fruchtblase.
Ich kehrte zurück in die Seitenlage, Miriam zerstreute meine Bedenken in puncto Schwerkraft und beschrieb die Vorteile der Stellung. Dann kam plötzlich der Druck des Köpfchens. Durch die erste Geburtserfahrung hatte ich dieses Mal weniger Sorge, weniger Hemmung auch hier weiter zu schieben und es fühlte sich auch nicht so unangenehm an, wie ich es in Erinnerung hatte.
Nach nur wenigen Wehen in diesem Gefühl ging es plötzlich ganz schnell. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn ein Kind geboren wird… Und auf einmal lag ein warmes, großes Kindchen neben mir und begann sofort zu weinen und sich zu bewegen. So unglaublich! Erleichterung, Freude, ein Stück weit Ungläubigkeit und ganz viel Dankbarkeit kamen auf.
Ich hätte mein Kind gerne sofort noch näher geholt, mir auf die Brust gelegt, doch Miriam war etwas in Sorge, wollte eine mögliche Blutung dieses Mal verhindern und spritze mir Oxytozin, da ich bei der letzten Geburt so viel Blut verloren hatte. Gerne hätte ich eine Geburt ganz ohne „äußere Einflüsse“ gehabt, doch in diesem Moment hatte es keine Bedeutung und war im Nachhinein betrachtet sicher die richtige Entscheidung.
Chronologie und Zeit waren ab diesem Zeitpunkt irgendwie ganz diffus, es gelingt mir nicht die Ereignisse genau zu ordnen. Ich glaube ich summte und sang, da ich nicht genau wusste, was ich meinem Kind hätte in dieser Situation sagen sollen und trotzdem wollte, dass es meine Stimme hört.
Die Plazenta kam schnell, ohne größere Schwierigkeiten. Dann konnte ich mein Kind zu mir nehmen, erst nach einigen Momenten traute ich mich wirklich es bewusst zu berühren, zu streicheln. „Ein großer kleiner Bruder“ sagte Miriam, da wurde mir erst richtig bewusst, dass wir nun tatsächlich einen Sohn haben, wie es mein Gefühl schon seit ein paar Monaten angedeutet hatte.
Das erste Stillen klappte gleich wunderbar. Mein Partner durchtrennte die Nabelschnur, als das Pulsieren aufgehört hatte.
Nachdem wir eine Weile in diesem Hochgefühl geschwelgt hatten, musste ich untersucht und versorgt werden. Der Damm blieb unverletzt und doch musste eine Verletzung genäht werden. In dieser Zeit lag unser Sohn auf der Brust des Papas, ich lag gleich daneben. Ich war ein bisschen ungeduldig und freute mich, als Miriam sagte, es gäbe keine Blutung mehr, alles sei versorgt und soweit in Ordnung.
In den nächsten Stunden räumten Miriam und Andrea noch einiges hin und her, es fühlte sich ein bisschen so an, als liefe die Zeit in unserem Bett viel langsamer und dafür in den anderen Räumen in doppelter Geschwindigkeit. Irgendwann wurde ich zur Dusche begleitet und auch unser Sohn wurde untersucht. Ein kleiner vollkommener Mensch!
Gegen 5:00 Uhr, etwa drei Stunden nach der Geburt unseres Sohnes, verabschiedete sich Miriam.
Nun kehrte ganz viel Ruhe ein. Unser Kind lag zwischen uns und schlief, ich selbst wachte und betrachtete dieses kleine Wesen.
Ich bin aus tiefstem Herzen dankbar dafür, dass meine beiden Kinder in einer so geborgenen und ruhigen Art zur Welt kommen durften. Ich bin mir sicher, dass ein solcher Start ins Leben, in ihrem oder unserem Rhythmus, ohne viele Eingriffe, Medikamente und Unsicherheiten eine unglaublich gute Basis ist, für alles was dann kommen mag.
Liebe Miriam, hab tausend Dank, dafür dass du und das Hebammen-Team es Müttern (bzw. Familien) und Kindern ermöglicht einen so schönes gemeinsames Geburtserlebnis und Start ins gemeinsame Leben zu haben!

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