Gebor(g)en

Der Tag, an dem diese nervenaufreibende Schwangerschaft zu Ende gehen sollte, war ein unspektakulärer Spätsommertag ohne besondere Vorzeichen. Ich hatte am Nachmittag „sturmfrei“, Mann und Sohn waren ausgeschwärmt, und ich nutzte die Zeit für meine tägliche ausgedehnte Waldrunde.

Während ich so marschierte (so gut man das mit dem Riesenbauchumfang noch kann), war ich ganz verbunden mit dem Baby und mir und fühlte mich wohl.
Da plötzlich: Ein ungewöhnliches Ziehen im Bauch. Stehenbleiben, atmen, nachspüren. Kann das der Auftakt der Geburt sein? Bestimmt nicht. Trotzdem lieber nach Hause… Zuhause angekommen trudeln auch Mann und Sohn ein. Kurze Meldung an meinen Mann: Komisches Ziehen beim Spazierengehen. Jetzt ist aber alles wieder ruhig. Es geht bestimmt noch nicht los…
Irgendwann kommt das Ziehen aber wieder und wird deutlicher. Ich gehe ins Wohnzimmer zu unserem Kind, um mich abzulenken. Muss aber recht schnell in den Vierfüßlerstand und bewusst atmen.
Mein Mann kommt rein, ich beschwichtige: Kein Grund zur Aufregung. Ich atme nur. Ja, sieht komisch aus, so im Vierfüßler vorm Sofa. Aber wir haben bestimmt noch sehr viel Zeit, bis es wirklich losgeht. Nein, wir müssen Andrea (unsere Hebamme) noch nicht alarmieren. Ich will noch abwarten, in Ruhe sein, behalte aber die Zeit im Blick. Die Abstände sind noch groß genug, um entspannt zu bleiben (finde ich).
Trotzdem ruft mein Mann meine Eltern an, um unseren Sohn abzuholen (besser jetzt als später in der Nacht). Da ist es kurz vor 19 Uhr. Wenig später fährt mein Vater vor, unser Sohn ist glücklich, ich packe seinen Koffer ins Auto, verabschiede mich und schließe die Tür. Perfektes Timing, denke ich. Und – zack! – als hätte mein Körper nur darauf gewartet, dass der Große glücklich und versorgt ist – kommt jetzt die erste „richtige“ Welle. Dringendes Bedürfnis, schnell in die Badewanne zu gehen.
Dort geht es mir richtig gut. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass echte Wellen in der Badewanne zunehmen, und so liege ich da im warmen Wasser und spüre genau hin, wie sich die Wellen anfühlen. Die Kontraktionen werden definitiv nicht weniger. Ok, denke ich, dann geht´s jetzt wohl los. Ich denke an Andrea, die bestimmt gerade mitten im Abendzeremoniell mit ihren Kindern ist. Will sie auf keinen Fall unnötig da rausholen. Aber die Abstände sind inzwischen bei drei Minuten. Da kann es nicht schaden, wenn mein Mann ihr Bescheid gibt, dass sie sich so langsam auf den Weg machen könnte (zu dem Zeitpunkt denke ich wirklich immer noch, dass wir wahnsinnig viel Zeit hätten).
Um kurz nach acht ist sie bei uns. Und ich bin tatsächlich mitten drin im Gebären bzw. Atmen und Bewusst-Entspannen 😉 . Es fühlt sich alles gut an, ich bin ruhig, konzentriert, fühle mich sicher.
Irgendwann beschließen wir, in den Geburtspool umzuziehen. Mein Mann ist gut beschäftigt damit, das Wasser einlaufen zu lassen, Handtücher zu wärmen, und andere Dinge bereitzulegen. Andrea beobachtet mich, macht Notizen, unterhält sich mit meinem Mann. Bestärkt mich darin, zu machen, was sich für mich richtig anfühlt.
Den Weg von der Badewanne zum Pool schaffe ich nicht in einem Stück, jede Bewegung wird mit einer heftigen Kontraktion quittiert. Ich mache also einen Zwischenstopp im Bett. Dort sind die Wellen wirklich stark und ich merke, wie sich mein Baby nach unten schiebt. Irgendwie schaffe ich in einer Wellenpause die paar Schritte zum Pool, lasse mich ins Wasser gleiten und entspanne augenblicklich. Das ist einfach mein Element. Der Muttermund war vor einer Stunde noch bei 3 cm, ich rechne also weiterhin damit, noch sehr viel Zeit zu haben und ehrlich gesagt auch damit, dass wir noch ins Krankenhaus fahren. Zum „Finale“ sozusagen. Eine Hausgeburt war zwar unsere Wunschvorstellung, aber bis zum Einsetzen der Presswehen für mich nicht real.
Aber… es ist tatsächlich schon soweit: Ich spüre Druck, kaum, dass ich wieder im Wasser bin. Ich bin überrascht, plötzlich geht alles so schnell! Bis die nächste Welle kommt, habe ich kurz Zeit, mich zu fragen, ob wir überhaupt vorbereitet sind. Bodys, Windeln, alles da? Irgendwie surreal. Dann rollt die Welle heran, ich töne laut, das passt perfekt zu der Arbeit und Anstrengung meines Körpers. Ich kann die im Körper entstehende Kraft damit super kanalisieren.
Ziemlich schnell kommt dann auch der Moment, in dem ich mich bewusst dazu entscheide, loszulassen und diese enorme Kraft ohne Widerstand durch mich hindurchlaufen zu lassen.
Und kaum realisiere ich, dass ich gerade im Begriff bin, mein Baby tatsächlich zu Hause im Planschbecken zu gebären, taucht unsere Tochter auch schon durch´s Wasser.
Da ist sie – riesengroß, kugelrund und so vollkommen.
Andrea hebt sie aus dem Wasser, legt sie mir auf die Brust und ab dem Moment fühlt sich alles an wie im Traum (bis heute!).
Die Kleine ist erschöpft von der rasanten Geburt (von der ersten richtigen Welle bis zur letzten waren es nur etwas mehr als zwei Stunden). Andrea versorgt sie.
Dann darf sich mein Mann mit unserer Tochter ins Bett kuscheln, Andrea schaut, dass sie warm ist und alles hat, was sie braucht. Ich sitze noch im Pool – überwältigt und schwerelos-glücklich. Und so dermaßen erleichtert wie noch nie in meinem Leben: Entgegen aller Befürchtungen war die Geburt dieses schweren Babys ohne medizinische Unterstützung, ohne Einleitung, ohne sonstigen Schnickschnack möglich. Und das allerallerwichtigste: Unser Mädchen ist fit und blickt mit großen Augen in ihren schummrig beleuchteten neuen Wirkungskreis!
Da kommt auch Meike, unsere zweite Hebamme zur Tür herein. Sie hatte sich so beeilt, aber unsere Kleine war schneller!
Ich ziehe um ins Bett. Lege unseren Wonneproppen an. Sie trinkt. Sie atmet! Sie lebt und ist von oben bis unten und vorne bis hinten perfekt! Wir sind schockverliebt.
Was war das für eine sorgenvolle Schwangerschaft! Bis zum Schluss hatten wir solche Angst und rechneten mit Allem, nur nicht damit! Wir fühlen uns wie im Traum. Kann uns bitte mal jemand kneifen? Da liegen wir mit diesem größtmöglichen Wunder im Arm in unserem Bett und können nicht fassen, was da gerade passiert ist: Wir haben die Geburt super geschafft, sind gesund und glücklich und es ist unglaublich schön, zu Hause zu sein. Umgeben von allem, was uns Sicherheit und Wohlbefinden gibt.
Es ist alles intakt: der Raum um uns, unser Baby, mein Körper, mein Gefühl. Wahnsinn!
Kein Tatütata, kein grelles Licht, keine Interventionen. Keine fremden Gesichter. Kein Krankenhausgeruch, kein Tür-Auf-Tür-Zu, kein Schichtwechsel. Keine komischen Gerätschaften. Kein Dauer-Gepiepse. Kein Druck. Keine Angst.
Stattdessen: Ruhe, Geborgenheit, Frieden, Schutz. Gute Energie. Und Raum. Für mich und meine Bedürfnisse.
Ich war ganz bei mir und wurde durch nichts verunsichert oder abgelenkt. Mein Körper konnte ganz ungestört das Programm durchlaufen, das seit hunderttausenden von Jahren in ihm angelegt ist. Die Geburt war schnell, intensiv und total unspektakulär. Und gleichzeitig von einer solchen Bedeutung und Schönheit für mich und meinen Mann, dass sie das stärkendste Erlebnis unseres bisherigen Lebens ist.
Die ambulante Geburt unseres Sohnes vier Jahre zuvor, die ich mit und durch Andreas Unterstützung im Klinikum sehr selbstbestimmt und ohne die üblichen Interventionen erleben konnte, war auch eine sehr stärkende Erfahrung. Aber diese Hausgeburt war darüberhinaus einfach so stimmig in sich. Ich fühlte mich geborgen. Eingehüllt in Respekt, Nestwärme und Ruhe.
Das waren die besten Geburtsmittel. Und für unsere kleine Tochter bestimmt die schönsten Bedingungen, um gebor(g)en zu werden und in dieser Welt anzukommen.
Wir sind so dankbar für diese mehr als glücklichen Geburts-Umstände. Und für die Weisheit und Kraft, die in unseren Körpern steckt.
Und wir danken den Menschen, die einer Gebärenden den Raum geben, den sie braucht, um in Verbindung zu sich und ihrem Baby bleiben und sich konzentriert in dieses intensive Körpererlebnis fallen lassen zu können:
Danke –liebe Andrea – für Deine Unterstützung. Für die Ruhe und Souveränität, mit der Du uns auf diesem Weg begleitet hast. Für Deine achtsame, wertschätzende, respektvolle Zuwendung. Für die kleinen Gesten und Worte, mit denen Du das Vertrauen in mich und mein Baby von Anfang an – nicht nur im Geburtsverlauf – immer wieder gestärkt hast, auch wenn Zweifel aufkamen. Bei beiden Geburten warst Du an unserer Seite, hast Dich für uns und unsere Bedürfnisse eingesetzt, uns Raum gegeben. Wir fühlten uns bei Dir gesehen und sehr geborgen. Dafür danken wir Dir von Herzen. Auch Meike und Anke sei an dieser Stelle unser herzlichster Dank ausgesprochen.
Die Worte „geboren“ und „geborgen“ unterscheiden sich nur durch einen einzigen Buchstaben. Ich bin vorher nie darüber gestolpert. Aber jetzt, da ich weiß, wie eine Hausgeburt sein kann, verstehe ich, dass diese beiden Worte zusammengehören. Eure Arbeit hat uns diese Erkenntnis ermöglicht. Dafür danken wir Euch. Ihr habt unseren tiefsten Respekt.

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