Geburtsbericht von J. am 21.6.2014


Meine erste Schwangerschaft 2009 verlief mit häufigen Komplikationen und entsprechenden Krankenhausaufenthalten und endete mit einer traumatischen Krankenhausgeburt. Danach folgten Stillprobleme und eine postpartale Depression.
Ich brauchte 4 Jahre, bis ich bereit war, meinem Wunsch nach einem zweiten Kind nachzugeben.


Diese Schwangerschaft war einfach herrlich. Ich fühlte mich die ganze Zeit über gesund, sehr weiblich und schön. Ich suchte mir gleich nach dem positiven Schwangerschaftstest eine Hausgeburtshebamme und nahm nur die 3 großen Ultraschalltermine bei meiner Frauenärztin wahr. Für mich stand fest: nie wieder Krankenhaus, wenn es irgendwie vermeidbar ist!
Ich nahm innerlich schon früh immer wieder Kontakt zu meinem wachsenden Baby auf und freute mich so sehr auf dieses Kind, von dem ich genau wusste, dass es gesund sein würde. Obwohl wir sehr anstrengende äußere Umstände während der Schwangerschaft hatten (u.A. Umzug, Bachelorarbeit, Arbeitslosigkeit meines Freundes, finanzielle Achterbahnfahrten), verspürte ich die ganze Zeit über Seelenruhe, Zuversicht und unerschöpfliche Stärke.
Schwangerschaftsbeschwerden hatte ich praktisch keine bis auf hier mal ein bißchen Ischiasschmerzen und da mal ein paar Tage leichte Übelkeit, ansonsten genoss ich die Schwangerschaft in vollen Zügen und machte auch bis zur Geburt noch lange Radtouren.
Meine Frauenärztin hatte den 29.06. als voraussichtlichen Entbindungstermin berechnet, meine Hebamme und ich kamen auf den 02.07. Ich rechnete auch vom Gefühl her nicht damit, vor der ersten Juliwoche zu gebären.
Ab der 32. SSW hatte ich alle paar Wochen mal heftigere Vorwehen über eine ganze Zeit hinweg. Das setzte mir emotional sehr zu, weil ich an meine erste Schwangerschaft erinnert wurde, bei der ich wochenlang mit heftigen Vorwehen geplagt war und dabei viel Kraft für die eigentliche Geburt einbüßte. Ich hatte Angst davor, dass mein Körper wieder entkräftet in die Geburt gehen würde und mir wochenlang mit anstrengenden Vorwehen zusetzen würde. Die Gespräche mit meiner lieben Hebamme Miriam halfen mir sehr. Im Laufe der Schwangerschaft und auch unter der Geburt klopften die schmerzvollen Erinnerungen immer mal wieder an, aber Miriam und mein Freund bestärkten mich in der Zuversicht, dass diesmal alles anders werden konnte und mein Körper einfach gut für die Geburt vorarbeitete. So konnte ich meine Schwangerschaft noch in vollen Zügen genießen.
An 38+3 bekamen wir einen Anruf von der Mutter unseres besten Freundes M.: Er hatte einen schweren Fahrradunfall und lag mit lebensbedrohlichen Kopfverletzungen im Koma. Das war ein furchtbarer Schock für uns, doch wir klammerten uns an die Hoffnung, dass alles gut werden würde. Am nächsten Tag rief die Mutter jedoch erneut an mit der Nachricht, dass er das Wochenende vermutlich nicht überleben würde. Ich brach zusammen und bekam heftige Wehen. Was nun? Ich wollte M. so gern sehen, wenigstens verabschieden können. Und ich konnte so einfach nicht gebären, ich wollte die Ankunft meines Kindes doch feiern und nicht unter solchen Umständen willkommen heißen… meine Gedanken waren nur bei M. Ich legte mich in die Badewanne und redete meinem Baby gut zu, dass es sich bitte noch Zeit lassen möge, wenigstens, bis ich noch mal bei M. gewesen war. So zogen sich die Stunden hin und nachts ließen die Wehen auch wirklich nach.
Gleich am nächsten Tag brachten wir meinen Sohn zu seinem Papa-Wochenende und fuhren danach M. auf der Intensivstation besuchen. Das war ganz furchtbar, aber gleichzeitig war ich so froh, ihn sehen zu können. Er hatte sich inzwischen wieder etwas stabilisiert. Ich erzählte ihm noch, dass es sein könnte, dass mein Baby bald kommt und ich deswegen beim nächsten Besuch vielleicht nicht dabei sein kann, aber dass ich mit meinen Gedanken immer bei ihm bin.
Nach dem Besuch ging es mir viel besser, ich fühlte mich irgendwie erleichtert.
Beim Verlassen des Krankenhauses sagte ich zu meinem Freund: „Kannst Du Dir vorstellen, dass es gesunde Menschen gibt, die ihre gesunden Kinder freiwillig in einem Krankenhaus zur Welt bringen?“, worauf er nur meinte: „Die Menschen tun so viel Verrücktes, was man nicht verstehen muss, darüber darf man einfach nicht nachdenken“.
Am nächsten Tag (38+6) wachte ich frühmorgens mit einem ganz unruhigen Gefühl auf. Ich hatte wieder sehr große Angst um M. Und plötzlich kam mir der Gedanke, wie schön es wäre, wenn sich das Baby doch eher auf den Weg machen könnte. Ich hatte ein solches Bedürfnis nach Hoffnung, Freude und Stärke und war mir sicher, dass unser Baby all dies bringen könnte. Gleichzeitig bekam ich ein schlechtes Gewissen. Mein Kind sollte doch kein Mittel zum Zweck sein, ich hatte mich ja so lange auf mein Baby gefreut… Ich schrieb meiner besten Freundin von meinen Gedanken und sie beruhigte mich, dass es in Ordnung wäre, so zu fühlen und gab mir zu denken, dass in anderen Kulturkreisen die Vorstellung von ineinander übergreifendem Leben und Sterben gängig ist. Das half mir sehr und noch während ich ihr eine Danke-SMS schrieb, kam die erste Wehe angerollt (ca. 9 Uhr morgens).
Diese war noch leicht, sodass ich sie freudig registrierte, aber erst einmal zu ignorieren versuchte. Aber mein Versuch, weiterzuschlafen, funktionierte nicht wirklich, sodass ich gegen 10 Uhr frühstücken ging. Meinen Freund ließ ich ausschlafen, weil ich dachte, er könnte es ggf. noch gebrauchen. Nach dem Frühstück legte ich mich wieder ins Bett und döste einfach. Die Wehen blieben, ca. alle 5 Minuten, noch ganz leicht und ich war vollkommen entspannt.
Gegen 11 Uhr wurde mein Freund wach und ich sagte ihm: „Ich glaube, heute kommt dein Sohn.“ Er war erst einmal ganz ruhig, stand dann aber doch recht zügig auf und wollte wissen, ob er den Wocheneinkauf allein erledigen sollte. Ich wollte aber so lange wie möglich den Tag ganz normal zu zweit verbringen, denn es würde so oder so für lange Zeit unser letztes kinderfreies Wochenende sein, da unser Großer erst in 2 Wochen wieder bei seinem Papa wäre und bis dahin würde mein Baby auf alle Fälle kommen.
Also haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir waren irgendwie in einer ganz seltsamen Hurra-Stimmung, total gut gelaunt, haben viel gelacht und herumgeblödelt. Manchmal hing ich pustend überm Einkaufswagen, was sicher sehr unterhaltsam für alle Anwesenden sein musste… Die Wehenabstände wurden wieder viel größer, aber das fand ich nicht schlimm. Ich befüllte den Einkaufswagen mit allem, wonach mir der Sinn stand. Besonders wichtig war mir Saftschorle aus der Sportflasche (mein Freund verstand erstmal nicht, warum ich nicht die ökonomischeren 1,5-Liter-Flaschen wollte, aber das hatte natürlich alles einen Sinn) und Malzbier (gibt ordentlich Kraft nach einer Geburt!).
Auf dem Rückweg mussten wir noch unbedingt zu einer Apotheke fahren, um Panthenolcreme zu kaufen, denn ich hatte so furchtbar trockene Lippen und hätte die Krise unter den Wehen bekommen, wenn ich sie mir nicht hätte einbalsamieren können. Mein Freund hat mich ohne Hinterfragen überall brav hinkutschiert.
Zuhause haben wir noch geschmust und gemeinsam am PC gespielt, immer mit dem Gedanken „Wer weiß, wann wir das nächste Mal dazu Gelegenheit haben“. Wehen hatte ich da kaum noch.
Urplötzlich wurde ich ganz schneckig und wollte niemanden mehr um mich haben. Ich hatte furchtbar schlechte Laune und legte mich gegen 16 Uhr in die Badewanne. Da kamen wieder ein paar Wehen, aber ganz wenige. Gegen 16.30 habe ich mich dann oben ins Bett gelegt mit dem Befehl, mich bloß in Ruhe zu lassen – habe aber noch 2 Sandwiches bei meinem Freund geordert 😉
Gegen 17 Uhr habe ich mir Chillout Musik auf Youtube angemacht und dabei Wehen veratmet, die nun alle 4 Minuten kamen und meist ca. 1,5 Minuten anhielten. Da ich das aber schon von meinen Vorwehen kannte, sah ich noch keinen Grund, wirklich an Geburt zu glauben, geschweige denn, irgendwen zu informieren. Nach einer halben Stunde hörte ich mit dem Wehendokumentieren auf, weil es mir zu blöd wurde und ich döste bis ca. 19 Uhr.
Mit einem Mal überkam mich der volle Adrenalinschub. Ich war total unruhig, sprang nahezu aus dem Bett und meinte, wir müssten jetzt sofort unbedingt spazieren gehen. Danach wollte ich ggf. Miriam anrufen. Mein Freund fragte, ob ich sicher sei und nicht lieber vorher anrufen wollte, woraufhin ich ihm was von Budenkoller und SOFORT SPAZIEREN GEHEN erzählte… Er dachte sich seinen Teil, tat aber, wie geheißen und half mir in die Schuhe, denn die konnte ich unter Wehen natürlich nicht so gut anziehen.
Wir kamen vielleicht 200 Meter weit, da bestand mein Freund dann doch auf Rückkehr, weil ich inzwischen für jede Wehe (geschätzt alle 2-3 Minuten) stehen bleiben musste. Außerdem fing ich an zu watscheln! Das hatte ich die ganze Schwangerschaft hindurch nicht getan.
Zuhause rief ich also Miriam an. Handy sagt: 19.22 Uhr. Diese war gerade dabei, ihr Pferd zu satteln, hörte sich an, wie ich eine Wehe veratmete und entschied dann, demnächst mal vorbeizukommen. Ich wusste immer noch nicht, ob das ein Fehlalarm werden würde. Kaum aufgelegt, war ich plötzlich furchtbar aufgeregt. Ich düste die Treppe runter und fing an, überall auf- und herumzuräumen. Zwischendurch kamen Wehen, währen denen ich mich nun schon gern irgendwo festhielt und konzentriert atmete. Immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich war so freudig aufgeregt und glücklich! Das könnte vielleicht was werden… Ich schickte meiner besten Freundin eine SMS um 19.46 Uhr: „Noch während ich die SMS heute morgen um 9 an Dich geschrieben habe, kam die erste Wehe. Seit ner halben Stunde denke ich, es könnte ernst werden. Hebamme kommt gleich, bin aufgeregt und freu mich“. Auf ihre Frage, ob ich was brauche: „Alles ist gut, ich bin voller Zuversicht und hänge gerade meine Geburtsmantras auf unter Tönen 🙂 “ (19.59 Uhr).
Die Geburtsplakate brachte ich an den Wänden an (nur das fürs Badezimmer nicht), ich dachte ja zu dem Zeitpunkt noch, dass ich im Wohnzimmer gebären würde. Doch unten hielt es mich nicht lange, irgendwie zog es mich wieder ins Schlafzimmer im Dachgeschoss.
Dort räumte ich noch etwas auf und gegen 20.30 Uhr kam Miriam, als ich gerade eine Wehe hatte. Sie untersuchte mich, Befund: MM 2-3cm, GMH noch wenig, alles schön weich und startklar, aber es würde noch dauern. Normalerweise wäre sie bei dem Befund noch mal losgefahren, aber sie entschied sich, zu bleiben und alles vorzubereiten, was mir sehr viel Sicherheit gab. Denn so fühlte ich mich wirklich, ernsthaft, als Gebärende, was mich enorm motivierte (Die Erinnerung an meine 1. Krankenhausgeburt klopfte hier wieder an, wo ich mehrere Male in den Kreißsaal gebracht wurde mit den Worten „Sie sind jetzt unter der Geburt“ und letztlich wieder mit dem Vorwurf „Das waren eben doch keine richtigen Wehen, machen Sie sich mal locker“ hinausbefördert worden war – mit MM 2-3cm).
Miriam gab also Entwarnung bei der Zweithebamme Meike, dass es alles noch etwas dauern würde. Sie wies dann meinen Freund an, ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Er war ganz verdutzt, hatte ich doch noch kurz zuvor angekündigt, im Erdgeschoss gebären zu wollen, weil dort Küche und Badezimmer waren… Aber nun hätten mich keine zehn Pferde aus dem warmen, hellen, kuscheligen kleinen Schlafzimmer bekommen und so wurde dort alles vorbereitet. Plötzlich wurde mir so furchtbar heiß und ich riss mir den kuscheligen Pullover meines Freundes vom Leib (fand ich eine Woche später zusammengeknüllt neben dem Bett).
Ich hatte in dem Moment dann nichts Besseres zu tun, als in den zwei Geburtsforen, in denen ich regelmäßig unterwegs war, meine Geburtsreise anzumelden sowie L.’s Papa noch eine kurze Nachricht zu schicken (20.42 Uhr):
„Baby ist unterwegs :-)“
„Ach du Schande! Toi toi toi. Also so richtig? Sag Bescheid, wenn ich L. was erzählen soll, noch ist er wach.“
„Nein, sag ihm mal noch nichts, das kann noch die ganze Nacht dauern. Aber morgen ist das Baby da“
Danach gönnte ich mir noch ein Abo bei Sp*tify, um meine vorbereitete Geburtsplaylist ohne Werbeunterbrechung hören zu können – alles schön durchorganisiert für „meinen Moment“.
Wider Erwarten wollte ich dann meinen Freund erst einmal nicht um mich haben. Ich saß im Schneidersitz, später Fersensitz, auf unserem Bett, Miriam mir gegenüber, und plauderte mit ihr in den Wehenpausen über alles mögliche. Wenn eine Wehe kam, lehnte ich mich nach vorn, atmete ganz bewusst und konzentriert mit und stellte mir vor, wie ich ganz weit wurde.
Ich war so wahnsinnig froh, dass ich den Yogakurs in der Schwangerschaft gemacht hatte, denn die Atemübungen und Visualisierungen halfen mir jetzt enorm. Ich erinnerte mich auch immer wieder daran, dass unsere Lehrerin gesagt hatte: „Achte darauf, dass auch dein Gesicht ganz entspannt bleibt, vor allem der Mund. Die Stirn ist glatt und vielleicht liegt sogar ein Lächeln auf deinen Lippen…“ Ja, so war es. ich lächelte, ich lachte, ich war so glücklich und froh. Ich war ganz bei mir und in mich versunken, das war meine lange Reise zu meinem Baby, oder Babies lange Reise zu mir? Immer wieder stellte ich mir vor, dass ich meinen zweiten Sohn bald in meinen Armen halten und endlich kennen lernen durfte. Ich schickte ihm gute Gedanken und meine ganze Liebe. Dazu lief im Hintergrund meine Geburtsplaylist, und ich spürte richtige Schübe von Glücks- und Liebeshormonen bei Stücken wie „The Power of Love“ von Frankie Goes to Hollywood…
Ich fühlte mich so schön und kraftvoll und lebendig und so wohl und bequem in meiner weißen Wäsche, die für mich irgendwie eine besondere Energie hatte.
Miriam breitete die Isomatte neben unserem Bett aus und holte sich L.s Decke, um noch ein wenig neben mir schlafen zu können. Wieder überkam mich so eine Welle der Aufregung, als ob wir hier ein Fest feierten, eine Geburts-Übernachtungs-Pyjama-Party!
Ich spürte überhaupt keine Schmerzen während der Eröffnungsphase, auch nicht, als ich anfing, während der Wehen zu tönen, weil sie mehr Kraft entwickelten. Es waren einfach immer größer werdende Wellen, mit denen ich mich tragen ließ und ich genoss dieses Gefühl, völlig angstbefreit. Mein Baby war unterwegs, hier in unserem Schlafzimmer!
Zwischendurch nahm ich immer wieder einen Schluck Saftschorle aus der Sportflasche (siehste…) und ein bißchen Traubenzucker für den Kreislauf.
Zum Schlafen kam Miriam nicht mehr, denn sie hörte an meinem lauter und länger werdenden Tönen, dass sich doch schneller etwas tat als gedacht. Sie fragte mich, ob sie untersuchen sollte, und ich freute mich darüber (Ich! Die sich Untersuchungen unter der Geburt eigentlich komplett verbitten wollte!). Ich war bei 5cm, es war gerade mal 21.30! Es ging also alles plötzlich sehr schnell, wahrscheinlich, weil mein Körper durch die Vorwehen so gut gearbeitet hatte, aber auch, weil ich so entspannt war.
Knall auf Fall ging es, vor allem, wenn ich auf Toilette war, dort entwickelten die Wehen richtig Wucht. Miriam rief Meike an, die bald auch ankam. Ich rief meinen Freund wieder hoch.
Da kam dann die gefürchtete Übergangsphase, die auch wirklich nicht schön war aber rückblickend betrachtet ihren Sinn hatte und so sein musste… Ich fing an zu zittern und mein Kreislauf versackte. Mir war so kotzübel und immer wieder schwarz vor Augen, ich bekam plötzlich Angst, ohnmächtig zu werden. Also riss Meike immer wieder die Fenster auf, damit ich Luft bekam und Miriam ruckelte in den Wehen an meinem Becken, was mir sehr guttat. Ich war jetzt vornübergelehnt im Vierfüßler, zwischendurch hatte ich auch den Kopf in den Armen meines Freundes vergraben, der quer übers Bett lag und einfach nur da war. In den Wehen hielt ich mich am Gestell unseres wunderbar gebärgeeigneten Bettes fest oder presste den Arm meines Freundes. Ich tönte sehr laut, manchmal brüllte ich auch, ohhh, ahhhh, oder auuuuufffff… Später auch „Koooomm, Baaaabyyy“ und ähnliches. Immer versuchte ich, mich auf den Gedanken des Öffnens und Weit werdens zu konzentrieren, was jetzt wirklich schwierig war. Aber gleichzeitig wusste ich genau, dass es die Übergangsphase war.
Mir kamen Gedanken wie „Was für eine besch… Idee war das denn, noch ein Kind zu bekommen? Wer hatte die bloß?“ Und ich musste kurioserweise mit Schrecken („WARUM wollte ich das?“) ausgerechnet ans bevorstehende monatelange Windelwechseln und mit Brei eingesaute Tische und Böden denken!
Ich sprach meine Ängste, die mich in dieser Phase überfielen, immer direkt aus, obwohl ich manchmal etwas ganz anderes sagte, als gemeint war. Beispielsweise sagte ich zu Miriam „Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe“. Eigentlich meinte ich aber „Ich habe Angst, dass ich das, was mich jetzt erwartet, nicht schaffe.“ Und zeitweise bekam ich wirklich kurz wieder Angst, dass mein Körper dies nicht schaffen könnte, dass ich irgendetwas anders oder besser machen müsste. Ich konnte mich nicht mehr richtig ausdrücken, aber ich fühlte mich trotzdem total verstanden von ihr. Eigentlich spielte es wahrscheinlich auch keine große Rolle mehr, was ich jetzt sagte, denn ich war außer mir und agierte nur noch wie im Film.
Zwischendurch war ich irgendwie genervt, ich hätte am Liebsten wieder alle rausgeschmissen, aber gleichzeitig wollte ich auf gar keinen Fall allein sein. So schüttelten mich die Wehen gut durch, bis ich gegen 23 Uhr merkte, dass ich mich plötzlich nicht mehr so mies fühlte. Ich war mit einem Mal wieder ganz klar und entschlossen und konnte die Wehen wieder gut aushalten. Miriam untersuchte noch mal und bestätigte: vollständig eröffnet! Lustigerweise sagte sie das vor Müdigkeit und Aufregung wohl nur irgendwie in einem Nebensatz zu Meike, woraufhin diese meinte, „Hat G. das gehört? Sag es ihr noch mal ganz deutlich! G., hast Du gehört? Du bist vollständig eröffnet, du hast es fast geschafft!“ Ich lächelte einfach nur und meinte „Ich weiß, ich hab’s gehört“… Die Freude war da, in mir, ich war einfach ganz schön erschöpft gerade. Aber ich hatte es ja selbst schon erkannt, an meinen Gefühlen.
Dann kam für mich die schwerste Prüfung dieser Geburt, denn trotz Eröffnung wollte sich der Kopf des Babies einfach nicht richtig einstellen. Die Wehen trafen mich mit voller Wucht und Gewalt, als ob mein ganzer Körper sich nach unten hin übergeben wollte, aber die Fruchtblase stand weiter prall und das Köpfchen rutschte nicht weiter. Mich überkam eine tiefe Verzweiflung, die von der Erinnerung an die erste Geburt herrührte, wo es ganz ähnlich ging. Miriam schlug vor, dass ich mich in Seitenlage begeben sollte, um es dem Köpfchen zu erleichtern. Ich wollte erst einmal keinesfalls! Ich konnte mir nicht vorstellen, Wehen in anderer Position als im Vierfüßler auszuhalten und ich hatte fast die ganze Geburt von L. in der Seitenlage verbringen müssen, wo ich völlig ungezielt und von der PDA betäubt auf Kommando irgendwohin pressen sollte. Der Horror dieser Erinnerung stieg in mir hoch, ich wäre am Liebsten weggerannt und äußerte immer wieder „Ich kann nicht, ich kann nicht, ich habe solche Angst“. Dank Miriams gutem Zureden konnte ich aber doch! Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, legte mich wie geheißen in die Seitenlage, stemmte meinen Fuß während der Wehen in Miriams Hüfte und hielt mit einer Hand ihre Hand, mit der anderen das Bettgestell hinter mir. Miriam ermunterte mich, „nach Gefühl mitzuschieben“ – was mir erstmal völlig fremd war, denn ich hatte keine Presswehen (was sollte ich denn da „schieben“?) und musste mich erst wieder auf die Wehen einstellen. Dann fand ich heraus, dass ich die Wucht der Wehen gut aushalten konnte, wenn ich mich völlig gehen ließ und wirklich mit aller Kraft Miriams Hand und Hüfte presste und gleichzeitig die gewaltige Kraft in mir „nach unten atmete“ – ein unbeschreibliches, gewaltiges Gefühl! Je mehr meiner Kraft ich hineinlegte, desto weniger spürte ich Schmerz, sondern eine urgewaltige Stärke in mir, ich hatte das Gefühl, als ob ich mit dieser Wahnsinnskraft einen Baum entwurzeln und an anderer Stelle in die Erde hätte rammen können. Ich glaube, meine Laute waren entsprechend archaisch, als ob in mir noch ein anderer Mensch steckte, der aus mir herausbrüllte (und so war es ja irgendwie auch!). Miriam sagte mir einen Tag später, dass sie überrascht war, wie stark ich zudrücken konnte…
Die Wucht der Wehen erfasste mich jetzt nicht mehr und schüttelte mich durch, sondern fuhr einfach durch meinen Körper durch wie ein Blitz und Miriam war mein Blitzableiter.
Ich glaube, ich fluchte in der ganzen Zeit auch öfters… Aber es war ja mein Schlafzimmer, hier konnte ich tönen und fluchen und Geräusche von mir geben, die nicht von dieser Welt stammten, es würde keine Hebamme oder Krankenschwester kommen und mir sagen, ich hätte leiser zu sein oder anders zu atmen!
Stattdessen lobte und ermunterte mich Miriam immer wieder und sagte mir, wie gut ich das alles machen würde. Das tat so gut, denn ich kam mir manchmal ganz schön wehleidig vor und schämte mich insgeheim dafür.
Komischerweise war es vom Gefühl her so, auch wenn ich in dieser schwierigen Phase sagte, ich hätte Angst oder könne nicht mehr, dann meinte ich damit nicht, dass ich an der erfolgreichen Hausgeburt zweifelte. Keine Sekunde dachte ich an Schmerzmittel. Innerlich hatte ich die völlige Sicherheit, dass alles gutgehen würde, ohne jeden Zweifel. Ich drückte damit eher mein Bedürfnis danach aus, nicht allein gelassen zu werden. Ich wollte, dass Miriam mir hilft, mein Baby zur Welt zu bringen, dass sie mir hilft, nicht innerlich abzudriften. Und das tat sie auch.
Während einer Wehenpause sagte ich: „Miriam, wenn mein Baby aus mir herauskommt, dann möchte ich ihn bitte als Erste und allein hochnehmen“. Obwohl wir das in der Schwangerschaft schon besprochen hatten, war es mir in diesem Moment plötzlich noch mal ganz wichtig, die Versicherung zu bekommen.
Eine Weile ging es mit den Wehen nun ganz gut, aber leider half es immer noch nicht richtig weiter wie gehofft. Da ich so große Angst vor einem Dammriss hatte, war die Seitenlage Miriams erster Vorschlag gewesen. Zwischendurch musste ich wieder auf Toilette, wo ich auch die eine oder andere Wehe überstand. Als ich wieder zurückkam, wollte Miriam die tiefe Hocke vorm Bett probieren, wogegen ich mich, stur wie eine Eselin, wieder sträubte. „Ich kann nicht, ich will nicht…“ Die Hebammen hatten es nicht leicht mit mir. Ich hielt mich trotz Protestes am Bettgestell fest und ließ mich auf die tiefe Hocke ein, aber es fühlte sich einfach total falsch an. Ich stellte dann in der Wehe auch ein Bein auf, um irgendwie Halt untenrum zu bekommen. Danach war aber klar, dass ich die Hocke nicht machen wollte, weil meine Beine auch wegklappten. Ich fing an zu jammern „Miriam, ich kann nicht mehr, was soll ich tun, ich gebe mir doch schon solche Mühe…“ Langsam, aber sicher kam ich an die Grenzen meiner Kräfte.
Miriam hatte dann die beste Idee überhaupt, sie packte den Gebärhocker vors Bett („Deine Wehen waren auf Klo doch immer so effektiv!“). Auch den wollte ich im Vorfeld nicht gern, denn darauf hatte ich damals L. bekommen und war stark gerissen. Aber jetzt nahm ich ihn ganz dankbar an!
Ich fand erst mal nicht so recht die richtige Position und es tat sich nicht viel. In einer Wehenpause ließ ich mich aufs Bett sinken und Miriam sagte, sie würde gern einmal nach dem Köpfchen tasten, ob das für mich okay sei. Ich wusste in dem Moment genau, dass sie durch die Untersuchung der prall stehenden Fruchtblase zum Springen verhelfen wollte, mir das aber nicht ankündigte, weil bei der ersten Geburt im Krankenhaus die Fruchtblase zu Anfang aufgemacht wurde und das für mich sehr traumatisch war. Und ich sagte voller Erleichterung „Ja, ist ok!“, denn ich wusste, dass das Platzen der Fruchtblase genau der fehlende Mini-Anschubs sein würde, der alles verändern konnte.
Also platzierte ich mich wieder auf dem Hocker, Miriam schob die Finger ums Köpfchen und wie erwartet, ploppte es, die Fruchtblase sprang – was für eine Erleichterung. Sofort setzte ein heftiger Pressdrang ein, was für mich ein unfassbares Gefühl war, denn durch die PDA beim 1. Kind kannte ich das ja nicht. Ich spürte plötzlich, wie sich J. durch den Geburtskanal bewegte und rief voller Erstaunen: „Das Baby kommt!!!“ (Auch hier wieder ein kurzer Satz, der eigentlich ausdrücken sollte: „Ich spüre, wie mein Baby herauskommt“) Was für ein unglaubliches Gefühl, wie erleichternd und lustvoll! Nie werde ich das vergessen! Ich bekam einen Wahnsinnsmotivationsschub, bei der nächsten Presswehe schob mein gesamter Körper mit, ganz von allein. Ich hängte mich zwischen Miriam und Meike ein und musste nichts tun, als mich hinzugeben. Ich war in einem Rausch der Gefühle, ich spürte auf einmal mit voller Gewissheit „Dein Körper ist fürs Gebären gemacht, Dein Körper ist vollkommen und intakt!“ und gleichzeitig eine ganz starke Verbindung zwischen meiner Hebamme und mir… Ich gab mich dieser Urgewalt völlig hin, die mein Baby herausschob und spürte bald das Brennen, als der Kopf austrat. Irgendwie tat es gut, Meike die überflüssige Erkenntnis mitzuteilen „Es brennt, es brennt so doll“, dabei konnte ich den Schmerz eigentlich gut aushalten, aber irgendwie musste ich es aussprechen, denn das gab mir die Gewissheit, dass ich gerade wirklich den Kopf meines Jungen gebäre. Ich, ich selbst, ganz aus eigener Kraft, nur meinem Körpergefühl folgend und keinem CTG oder Anweisungen von anderen! Ich knirschte also „Kooooomm endlich raaaaaus“ und schob den ganzen Kopf heraus, ich hatte keine Lust mehr zu warten! Dann kam das Wahnsinnsgefühl der Erleichterung, der Kopf war draußen, und ich sprach auch das aus: „Der Kopf ist da, der Kopf ist da“ und betrachtete dieses unglaubliche Bild, den kleinen Kopf von J. zwischen meinen Beinen. Mein Blick fiel auf die Uhr, es war 23.55 Uhr. Da kam auch schon direkt der Körper hinterhergeschossen. Miriam fing ihn auf und legte meinen kleinen Jungen zwischen meinen Beinen ab auf der Isomatte, wo sie es sich noch kurz zuvor hatte bequem machen wollen…
Ich weinte nicht, ich lachte von Herzen über mein Glück. Voller Freude rief ich: „Da ist er! Unser Baby ist da!“, schob schnell mein Shirt hoch und nahm dann lachend J. hoch, wie ich es mir gewünscht hatte. Er war ganz rosig! J. schrie zwei Mal empört und war dann ganz still.
Was für ein winziges Baby, ich konnte es nicht fassen. Ich ließ mich mit ihm nach hinten aufs Bett sinken und half ihm an meine Brust, an der er sofort mit voller Kraft saugte. Ich war ganz erstaunt darüber, welchen Zug er drauf hatte!
Ich merkte jetzt auf ein Mal, wie kalt mir war, fing an zu schlottern und es war so ein herrliches Gefühl, mit meinem Baby in vorgewärmte riesige Handtücher gehüllt zu werden, darüber kam eine Wolldecke und noch unsere Bettdecke. Irgendwie fühlte ich mich selbst auch ein bißchen wie ein Baby, so umsorgt und eingekuschelt.
Später musste ich aber alle Decken beiseite schaffen, denn ich wollte mein Baby noch einmal richtig von oben bis unten angucken und nachschauen, ob es wirklich ein Junge war – war es 😉
Miriam fragte, ob einer von uns die Nabelschnur durchschneiden wollte, aber uns beiden stand überhaupt nicht der Sinn danach, also übernahm sie das.
Danach wurde ich wieder stur: Plazentageburt und Dammriss nähen sollten die Hebammen bitteschön allein machen, ich hatte doch gerade ein Baby bekommen und wollte nur noch kuscheln.
Miriam zog etwas an der Nabelschnur und stellte fest, dass die Plazenta schon gelöst war, aber diese ließ sich ein paar Mal bitten. Ich hatte erstmal keine Nachwehen, war irgendwie zu doof zum „Ostereier auspusten“ und einfach so zu pressen verweigerte ich. Also noch mal rauf auf den Hocker, wo sie denn unter meinem Gemaule letztendlich auch kam.
J. durfte zu meinem Freund auf den Bauch, den er erstmal schön von oben bis unten mit Mekonium eindeckte 😀 Und ich ging duschen. Herrlich! Ich war so voller Endorphine, dass ich nach unten ins Bad schwebte, nicht die geringste Kreislaufschwäche mehr, ich stand beim Anziehen sogar auf einem Bein 😉 Auf dem Rückweg zum Schlafzimmer machte ich in der Küche halt und fing tatsächlich an, aufzuräumen, was Miriam dann unterbinden konnte.
Durch die rasante Geburt und meine gewaltige Presserei auf dem Hocker bin ich leider wieder 2. Grades gerissen und habe ein ziemliches Drama ums Nähen gemacht. Miriam ließ sich zum Glück nicht beirren und verpasste mir eine vollkommen schmerzfreie, supertolle Naht, die ich überhaupt nicht mehr spürte und nach ein paar Tagen komplett verheilt war.
Bis tief in die Nacht hinein putzten die Hebammen noch, räumten auf und erledigten Schreibarbeit, während wir als junge Familie miteinander schmusen konnten. Zwischendurch wurde J. kurz gemessen und gewogen: 3280g, 51cm und 35cm KU. Im Vergleich zu meinem ersten Kind wirklich ein Winziling, obwohl er mit diesen Maßen ja ganz durchschnittlich war.
Mein Freund war völlig weggetreten und schlief sofort nach der Geburt fest ein, während ich noch bis in die Morgenstunden wachlag, das wunderschöne Kind auf meinem Bauch betrachtete und auf Wolke Sieben schwebte.
Das an diese wundervolle Geburt anschließende Wochenbett war ebenso schön: mein Freund konnte sich unerwartet eine ganze Woche frei nehmen, die wir fast ausschließlich kuschelnd im Bett verbrachten, während seine Mutter uns täglich mit frisch gekochtem Essen verwöhnte.
Der große Bruder wurde am nächsten Tag von seinem Papa zu uns gebracht und mit seinem Brüderchen überrascht. Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und will auch jetzt noch J. am Liebsten ständig küssen – und er singt ihm gern alle Schlaflieder vor, die er kennt!
J. ist ein tiefenentspanntes, wundervolles Baby. Ich hatte nie einen Zweifel, dass ich ein perfektes, wunderschönes Kind bekommen würde und so war es auch.
Diese Geburt hat mich mit vielen traurigen Erfahrungen versöhnt und mir ein ganz neues Körpergefühl beschert. Ich fühle mich gesund, heil und vollständig; so stark wie eine Löwin – als könnte ich es mit allem aufnehmen, nachdem ich diese Urgewalten besiegt und mir zu eigen gemacht hatte. Vielleicht musste diese Geburt auch so heftig und schmerzvoll sein, um meinem inneren Schmerz der letzten Schwangerschaft und Geburt gerecht zu werden – und danach den Rausch der Endorphine zu sichern, der mich sofort verliebt in mein Baby machte.
Wundersamerweise hält dieser Hormonrausch noch bis heute an – ich schwebe vielleicht nicht mehr ganz so verzückt durch die Gegend wie die ersten Tage nach der Geburt, doch unsere Beziehung als Paar hat eine ganz andere Dimension erreicht und wir sind unglaublich verliebt ineinander, in unsere Kinder, ins Leben und in die Liebe.

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