Und es kam über mich wie eine Welle

im Mai 2014

Und es kam über mich wie eine Welle…

Es waren wahrlich heiße Tage im Mai. Hatte ich schon jemals so heiße Tage im Mai erlebt? Aber für den heutigen Tag waren heftige Gewitter vorausgesagt. Ja und so fühlte es sich auch an…schon früh morgens war es britzelig in der Sonne und es wurde schwüler und schwüler, richtiges Waschküchenwetter und uns stand der Schweiß auf der Stirn. „Bestes Wetter für eine Geburt“ hatte mir meine Hebamme des Vertrauens – Miriam Joseph – augenzwinkernd erklärt.

Und so verdichteten sich am Morgen mit einsetzender Blutung tatsächlich die Vorzeichen, dass sich heute unser Kind auf den Weg machen wollte – zehn Tage nach dem errechneten Geburtstermin. Obwohl ich mich schwanger nach wie vor wohl fühlte, war ich erleichtert, denn unser Zeitfenster für die Hausgeburt begann sich doch langsam zu schließen. Unsere ältere Tochter fuhr nun final noch einmal zu Oma und Opa – wo sie schon zwei Wochenenden verbracht hatte, in der Annahme, dass es wohl „losgehen müsste“.
Und so lag der Tag der vermuteten Ankunft vor uns. Miriam besuchte uns am späten Vormittag und gemeinsam aßen wir nach der letzten Vorsorgeuntersuchung Erdbeeren in der Sonne. Ihr wohltuender Optimismus, ihre Zuversicht, ihre Ruhe und Klarheit übertrug sich auch heute wieder balsamartig auf uns. Wir verabschiedeten uns erneut- aber heute behielten wir Miriams Worte im Ohr „wir hören später voneinander, ruft mich jederzeit an!“
Die Wehen kamen in regelmäßigen Abständen alle zehn Minuten– wie aber auch schon in den letzten Tagen. Wir beschlossen uns auszuruhen und schliefen einen herrlich erholsamen Nachmittagsschlaf. Bis – unsere Tochter anrief und sich erkundigte, ob ihr Geschwisterchen denn nun endlich rauskommen wolle. Ja – wollte es? Der Himmel zeigte sich mittlerweile diesig, manchmal grummelte es in der Ferne. Wir machten uns dennoch auf den Weg zu einem Spaziergang in den Wald in der Nähe. Es war schön, sich zu bewegen! Wenn ich auch immer wieder stehen bleiben musste, weil kräftige Wehen mich „anhalten“ ließen und ich wartete bis ich weiterspazieren konnte. Wieder Zuhause stellte ich fest, dass die Wehen mittlerweile alle sechs bis sieben Minuten kamen. Ich duschte gemütlich. Doch plötzlich fühlte sich etwas anders an… ich bemerkte, dass ich Flüssigkeit verlor – ohne ein Kontrollgefühl. Ich war irritiert. Doch dann verlor ich noch einmal Flüssigkeit und ich realisierte, dass ich nicht inkontinent geworden war, sondern die Fruchtblase „geplatzt“ sein musste. Die Wehen wurden schnell kräftiger und der Abstand verringerte sich auf alle vier Minuten. Ich rief Miriam gegen 20.30 Uhr an und berichtete ihr; meinte, sie könne aber noch zu Hause bleiben, ich würde sie dann wieder anrufen. Ich hatte angenommen, eine Nacht des Wehens stünde mir bevor. Miriam aber wollte sich gleich auf den Weg machen und so war sie auch schon wenig später da. Zu dieser Zeit hatte ich mit Tönen begonnen, hörte meine Lieblingsmusik und fühlte mich entspannt. Miriam sah mich und forderte mich auf, dass wir das Geburtszimmer, welches wir ausgewählt hatten, aufsuchen sollten. Hier begann sie zielorientiert vorzubereiten und delegierte meinen Mann. Ich wunderte mich über ihre Dynamik und dachte bei mir, das dauert doch noch…warum diese Thermik?
Doch ich hatte mich geirrt, denn plötzlich kam es über mich wie eine Welle!
Die Wehen wurden kräftiger, so verdammt kräftig. Meine Güte, ich hatte vergessen, wie schmerzhaft Wehen sind. Sie zwangen mich in die Knie. Zunächst ging ich in die Hocke – denn ich hatte aus der Geburtsvorbereitung im Ohr, dass doch „die Frauen der Naturvölker ihre Kinder in der Hocke bekommen und keine käme auf die Idee, sich zum Gebären hinzulegen“. Und so hockte ich und schrie, an Tönen war nicht mehr zu denken. Die Musik war längst aus. Wie gut, dass mein Mann bereits die Kerzen angezündet hatte. Ich krallte mich in seinen Oberarmen fest. Zunächst begegnete ich jeder herannahenden Welle mit Widerstand. Ich hatte Angst vor dieser neuen Qualität der Schmerzen und antwortete ihnen mit dem lautesten „Nein!“, das je über meine Lippen gekommen war. Ich wusste, dass es kontraproduktiv war… ich wollte bejahen und konnte doch nicht. Auch der Vierfüßlerstand brachte keine Veränderung. Die Wehen waren so kräftig und erschütterten mich in meinem Innersten. Das Gefühl, meinem Kind so wenig auf seinem Weg in die Welt helfen zu können, erschütterte mich zwischenzeitlich. Was – wenn ich es nicht schaffen würde? Wenig später polterte dieser Satz Miriam auch schon entgegen: „Ich schaffe das nicht!“ und ich fühlte eine beklemmende Bedrohung.
Diese schien sich dann abzubilden in der Verschlechterung der Herztöne unseres Kindes. Miriam reagierte sofort und forderte mich auf, mich auf die Seite hinzulegen, meinen Fuß hoch in ihren Nacken zu stemmen. Was für eine Erleichterung! Die Wehen rollten weiter heran, weiterhin so kräftig. Nun aber hatte ich nicht mehr das Gefühl jede Welle breche über mir und ich müsste versuchen, mich und das Kind vor dem Ertrinken zu retten. Nun empfand ich das Pressen als Erleichterung im Umgang mit dem Schmerz. Ich fühlte mich wie auf einem Schiffchen, dass mich in diesem atemraubenden Wellengang trug. Miriam war für mich – „meine Kapitänin“- sie gab mir Sicherheit, Zuversicht und Vertrauen. Das „innerliche Ja“ war da und ich spürte Bewegung in diesem Kraftakt…

… und dann…war sie da! Unsere Tochter!

Es war plötzlich ganz still, kein Sturm mehr, keine Wellen. Nur dieses kleine Seeligkeitsmenschlein, dass ich ganz ungeduldig in meine Arme schloss und auf meinen Oberkörper legte und wir schauten uns an. Eine gefühlte Ewigkeit schaute mich meine Tochter an und schaute und schaute, so lange, so intensiv – so als wollte sie mich erforschen, ganz genau betrachten und ich betrachtete sie – erleichtert, dankbar, glücklich. Ich fühlte eine solche Verbindung zu meiner Tochter, wir hatten es geschafft, wir hatten es beide geschafft und hielten nun gemeinsam inne. Ja, das war unsere erste Begegnung – wie „zwei Schiffsbrüchige“, gestrandet, gerettet, erschöpft – in tiefer Dankbarkeit.

Die weiteren Ereignisse zogen nebulös an mir vorüber. Schließlich konnte ich – versorgt und geduscht- endlich neben meinen Mann in unser Bett kriechen. Unsere Tochter schlief tief auf seiner Brust und auch mein Mann atmete tief und regelmäßig. Ich lauschte auf das kleine Atmen und das große. Es war tief in der Nacht und endlich konnte sich der Himmel entladen und es donnerte und blitzte. Ich dankte dem Himmel, den himmlischen Kräften und dieser antwortete mit Pauken und Trompeten.

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